Platsch! Und du bist dort. Dir wird kalt. Es fühlt sich an wie Wasser, doch das ist es nicht. Langsam merkst du, wie du keine Luft mehr kriegst. Du suchst nach der Oberfläche, du musst hier raus. Du strampelst mit den Armen, doch es bringt nichts. Panisch siehst du dich um. Es muss einen Ausweg geben. Irgendwo. Doch: Nein, es gibt keine Oberfläche. Du bist gefangen. Gefangen in unendlicher Trauer. Deine Lungen ziehen sich zusammen, der Luftmangel wird unerträglich, dir bleibt nichts anderes übrig. Du hörst auf dich zu wehren, du hörst auf zu versuchen, wieder nach oben zu kommen. Alles um dich herum ist blau. Du schließt die Augen und lässt dich treiben. Obwohl es keine Strömung gibt, die dich irgendwo hintragen kann. Nein, hier gibt es kein Vor oder Zurück. Es gibt nur Tief. Tiefer. Tiefer. Plötzlich nimmst du etwas wahr. Du erkennst Stimmen, besorgte Stimmen. Doch sie sind dir egal.
Du erinnerst dich an die Minute, bevor du eingetaucht bist. Als die Nachricht kam, bist du stehengeblieben. Hast alles losgelassen. Alles war egal. Es gab nichts mehr, dass wichtig für dich war. Deine Augen wurden glasig. Alle Geräusche um dich herum wurden gedämpft wie durch eine Betonwand. Stille. Du versuchtest zu schreien, doch kein Ton kam aus dir heraus. Dann bist du eingetaucht.
Und jetzt. Jetzt ist es schon zu spät. Du bist hier, bewegst dich nicht und spürst nichts mehr. Du fühlst nur noch Wut und Trauer. Eine gefährliche Mischung. Du wünschst, du könntest zurückgehen. Du wünschst dir, du hättest … Doch Wünsche werden hier nicht erhört. Es ist schon viel zu spät, um zu entkommen. Du traust dich nicht, an die Zukunft zu denken. Du hast Angst, dass deine schrecklichen Vorstellungen wahr werden. Obwohl: Hier gibt es keine Zukunft. Keine Gegenwart. Nur Vergangenheit. Schmerzende Erinnerungen. Du ertrinkst in ihnen.
Du denkst zurück. Wäre dieser eine Moment nicht gewesen, hätten sie es dir verschwiegen, dann wärst du jetzt nicht hier. Du wärst glücklich. Könntest lachen. Fröhlichkeit - eine ferne Erinnerung. Als wäre es Jahre her gewesen, dass du das letzte mal gelächelt hast. Dabei ist es doch nur ein paar Minuten her, seit du eingetaucht bist. Zeit existiert hier eben nicht. Zeit beschreibt Ordnung und Regelmäßigkeit. Gibt’s hier nicht. Hier ist die Zeit unregelmäßig und reißt dich mit in eine unendliche Tiefe.
Wieder denkst du zurück. Tränen treten dir in die Augen. Wäre es nicht passiert. Wäre es einfach nicht passiert! Doch das Geschehene kann man nicht ändern. Vergangenheit ist Vergangenheit, denkst du. Langsam merkst du, wie du das Geschehene akzeptierst. Mit jedem Wimpernschlag bekommst du mehr Luft. Du bist wieder in der Lage, einen Atemzug zu nehmen. Du atmest wieder. Endlich. Deine Arme lösen sich aus der Starre. Du bewegst deine Finger, versicherst dich, dass du es wirklich bist und noch lebst. In deinem Augenwinkel entdeckst du etwas Helles. Du drehst dich um und erblickst Licht. Licht am Ende des Tunnels der Trauer. Du strampelst mit Armen und Beinen. Du stemmst dich hoch an die Oberfläche. Dies ist deine einzige Chance. Du gibst alles. Mit jedem Meter an die Oberfläche sinkt die Angst, wieder zurückzufallen. Du bemerkst, dass du wieder normal atmen kannst. Und – platsch! Du bist wieder da, in Sicherheit. An der Oberfläche. Du hast das Geschehene akzeptiert. Der Nebel hinter deiner Stirn lichtet sich.
Du bist aufgetaucht.